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Stellungnahme: Anhörung 05.08.2024 Ausschuss für Wissenschaft und Kultur

Posted in Stellungnahmen

Sehr geehrte Abgeordnete,
Sehr geehrte Vertreter*innen der Landesregierung,
Sehr geehrte weitere Anwesende und Zuhörende,

zuerst möchten wir uns dem Gesetzesentwurf der CDU widmen, da dieser mit guter Motivation ein dringliches Thema adressiert. Gerade im Zuge sich häufender Angriffe auf jüdische Kommiliton*innen und Dozierende, muss der Schutz des jüdischen Lebens insbesondere an unseren Hochschulen mit höchster Priorität gewährleistet und sichergestellt werden. Selbiger Schutz sollte ebenso allen weiteren Personen zu teil werden, die sich mit anderen Arten von Diskriminierung oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit konfrontiert sehen. Ein Handeln ist jetzt erforderlich.

Wir begrüßen Ihre Bemühungen und auch die Einbeziehung des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), das sonst regulär Studierende nicht schützt.


Wenn wir uns jedoch genauer mit diesem Gesetzesentwurf befassen und über einfache
populistische Forderungen hinwegsehen, dann können wir diesen Entwurf nicht als ein Gesetz für Studierende, sondern nur gegen Studierende interpretieren.

Blicken wir in die Vergangenheit, dann sehen wir ein Ordnungsrecht, das als Repression gegen politische Studierende und Emanzipationsprozesse eingesetzt worden ist. Blicken wir
dahingegen in die Zukunft, ist unter der aktuellen politischen Stimmung ungewiss, welchen
autoritären Kräften wir damit die Tür öffnen und Instrumentalisierung an die Hand geben, die wir nicht wieder zurücknehmen können.


Unser Problem liegt darin, dass das Exmatrikulieren aufgrund von Ordnungsverstößen die erste Entscheidung der Gerichtsbarkeit entzieht und dehnbare Begriffe ohne klare Definition repressive Möglichkeiten für möglicherweise politisch motivierten Funktionsträger*innen überlässt. Wir haben den Eindruck, dass eine gespaltene Gesellschaft genutzt wird, um diesen Moment für die Einführung eines Ordnungsrechts auszunutzen.

Ihre Argumentation widerlegt diesen Eindruck nicht, denn Sie haben formuliert:
„Durch die neugeschaffene Regelung werden Menschen mit Behinderungen an niedersächsischen Hochschulen verstärkt vor Diskriminierung geschützt.“ und „Der Tatbestand des §19 a Abs. 1 Nr. 5 soll es den Hochschulen ermöglichen, insbesondere auf Bedrohungen im extremistischen und terroristischen Umfeld zu reagieren.“

Nicht nur, dass Studierende nicht direkt vor Diskriminierung geschützt werden, weil sie eine Sanktionsmöglichkeit einführen wollen, die ohnehin im zivilrechtlichen Kontext besteht und auch so noch hochschwellig ist, sondern Sie wollen den Hochschulen die Aufgabe zutragen, auf Bedrohungen im extremistischen und terroristischen Umfeld zu reagieren. Dies kann in keiner Welt die Aufgabe von Bildungseinrichtungen sein. Dies ist die klare Aufgabe von Verfassungsschutz und Polizei, zumal es bereits ein allgemeines Ordnungsrecht gibt.

Unsere Befürchtung wird abschließend darüber hinaus dadurch bestätigt, dass Sie mit diesem Entwurf und ihrer bisherigen Arbeit den Eindruck erwecken, keine inhaltliche Auseinandersetzung im Sinne der Antisemitismuskritik führen zu wollen, sondern dass sie lediglich andere für Antisemitismus verantwortlich machen, so wie bisher auf Bundesebene in der Debatte oft genug beobachtet.

An der Stelle können wir den Resolutions-Entwurf der Regierungsfraktionen insofern begrüßen, dass diese an der Wurzel ansetzen und eine inhaltliche und bildungspolitische Auseinandersetzung fördern. Dies können wir nur dringends unterstreichen.

Aber auch hier fehlen uns weitere konkrete Maßnahmen: Hochschulen müssen dabei unterstützt werden, ihre bestehenden rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und kreative Lösungen zu finden, wie zum Beispiel Antisemitismuskritische-Konzepte für selbstorganisierte Veranstaltungen. Viel zu selten nutzen diese im Kontext von Diskriminierung ihr Hausrecht oder andere Potenziale. Ein gemeinsamer Handlungsleitfaden der Hochschulen fehlt auch und eine explizite Orieniterung an IHRA-Definition zu Antisemitismus ebenfalls. Schon in der Schule wird das mangelnde Verständnis von Antisemitismus erzeugt und fehlt bis heute in den Lehrplänen. Daher fordern wir eine schulische Auseinandersetzung mit jüdischem Leben über die Zeit des Nationalsozialismuses hinaus und eine Förderung von Forschung und Lehre zur Schaffung von demokratischen Mitbürger*innen im Rahmen des Hochschulaufenthaltes. Lehrende und Studierendenschaften müssen selbstkritisch sensibilisiert werden, auch hier darf die
Finanzierung keine Ausrede sein und es ist konkrete Aufgabe der Landesregierung, dies zu
gewährleisten. In Bezug auf die Finanzierung ist es gleichzeitig ein Eklat, dass Monitoringstellen wie beispielsweise RIAS projektbasiert und befristet finanziert sind, gerade hier braucht es Nachbesserung. Gerade dann, wenn ein Antisemitismusbeauftrager auf Ehrenamtsbasis arbeiten muss, kann dies nicht ernstgemeint sein.

Neben den Anlaufstellen, die Sie selbst schon erwähnt haben, können wir vor allem auf die
Positionierung unseres Dachverbands des „freien zusammenschluss von
student:innenschaften“ zum Ordnungsrecht verweisen, die noch einige weitere Maßnahmen
erwähnen und an dessen Zitat wir uns nur anschließen können:

„Antisemitismus wird nicht dadurch bekämpft, dass wir einzelne Menschen exmatrikulieren, im Zweifel wird das Problem nur außerhalb der Hochschulorte verlagert, Menschen radikalisieren sich aufgrund der Erfahrung oder kehren einfach auf den Campus zurück um Hass und Hetze zu verbreiten. Dies gilt aber nicht nur für Antisemitismus sondern auch Rassismus, Sexismus, sexualisierte Gewalt, Ableismus und vieles mehr. Es ist ein gefährlicher Irrglaube, dass es Hochschulen diskriminierungs- oder gewaltfreier machen würde. Stattdessen ist es nur ein weiterer Anstieg des autoritären Charakter, den Hochschulen erfahren. Die Türen, die wir hier einer rechtskonservativen Regierung öffnen, werden sich nicht mehr schließen lassen. Durch Aufklärungsarbeit, Informationsangebote und emanzipatorische und dem 21. Jahrhundert entsprechende Antidiskriminierungsstellen können wir Diskriminierung und Gewalt entgegenwirken. Zwangsexmatrikulationen sind trügerische Versprechen von Schutz und ein weiteres Zeichen von Faulheit und Ignoranz im Kampfe für eine bessere Welt für alle, auf dem Campus und außerhalb.“

https://www.fzs.de/2024/05/13/positionierung-zum-ordnungsrecht-an-hochschulen-2/