Ab dem 1.1.2017 werden nach aktuellem Stand die Möglichkeiten, Studierenden auf legale Weise Lehrmaterialien zur Verfügung zu stellen, deutlich eingeschränkt.
Die Kultusministerkonferenz (KMK), der Bund und die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) haben sich auf einen neuen Rahmenvertrag zur Vergütung von Ansprüchen für Nutzungen von wissenschaftlicher Literatur nach § 52a UrhG an öffentlichen Hochschulen verständigt.
Der § 52a UrhG erlaubt die Verbreitung kleiner Teile (bis zu 12% oder 100 Seiten eines Werkes) urheberrechtlich geschützten Materials zur Verwendung im Unterricht, in der Lehre und in der Forschung innerhalb eines abgegrenzten Personenkreises. Eine Vergütung wurde bislang über eine pauschale Abrechnung an die VG Wort abgegolten. Diese erstritt sich jedoch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) die Möglichkeit einer Einzelfallabrechnung. Der BGH urteilte 2013, der dadurch entstehende Aufwand sei angemessen.
So ändert sich ab dem 01.01.2017 diese Praxis, wodurch entsprechende Werke einzeln gemeldet und vergütet werden müssen. Anders als das BGH-Urteil andeutet, bedeutet dies allerdings einen deutlich höheren Aufwand für Lehrende und Studierende an den Hochschulen. Im Rahmen eines Pilotprojektes an der Universität Osnabrück im Wintersemester 2014/2015 wurde durch die nötigen Einzelmeldungen auf Seiten der Lehrenden ein deutlich erhöhter Zeitaufwand für das Zurverfügungstellen von Literatur festgestellt, während bei den Studierenden der Aufwand für die Beschaffung von Literatur deutlich zunahm.
Dazu Philipp Neubarth, Referent für allgemeine Angelegenheiten der Studierendenschaft im AStA der Universität Osnabrück: “62% der Studierenden gaben bei der abschließenden Befragung an, dass sie einen höheren oder sehr viel höheren Aufwand bei der Literaturbeschaffung betreiben mussten, weil die Texte nicht mehr in gewohnter Weise von den Dozierenden zur Verfügung gestellt werden konnten. Tatsächlich wurde nur knapp ein Viertel der bisherigen Texte hochgeladen.” Darüber hinaus waren die von den Lehrenden vorgenommen Meldungen zu großen Teilen weder vollständig noch korrekt. Dazu kommen die zu erwartenden Kosten, welche sich an der Universität Osnabrück auf insgesamt 26.000 Euro pro Semester belaufen würden. Weitere 50.000 Euro an Kopierkosten würden allein auf die Studierenden entfallen.
Da die niedersächsische Landeshochschulkonferenz (LHK) einstimmig erklärte, den Vertrag mit der VG Wort nicht zu unterschreiben, dürfen ab dem 01.01.2017 urheberrechtlich geschützte Werke nur noch dann in den Lernmanagementsystemen (LMS) zugänglich gemacht werden, wenn die Nutzung durch § 51 UrhG (Zitatrecht) abgedeckt ist oder anderweitige Lizenzen vorhanden sind.
“Die Entscheidung der LHK, den Vertrag zu boykottieren halten wir als Studierendenschaften trotz der voraussichtlichen tiefgehenden Änderung ab Januar für unausweichlich, da die gegebene Alternative keine praktikable ist. Einer Unterwerfung der Verbreitung von Wissen unter Profitinteressen stehen wir grundsätzlich kritisch gegenüber. Die vorgesehenen Regelungen sind jedoch besonders unzumutbar und gefährden die Freiheit von Forschung und Lehre“, kommentiert Koordinator der LandesAStenKonferenz Thorben J. Witt
Zudem würde die Unterzeichnung des Vertrages durch die Hochschulen keinesfalls bedeuten, dass Inhalte nach § 52a UrhG wie gehabt verwendet werden dürften, da im Vertrag eine Vorrangigkeit von Verlagsangeboten festgeschrieben ist. Das heißt, dass vor der Nutzung eines Textes geprüft werden muss, ob ein Angebot eines Verlages für diesen Text vorliegt, das dann auch angenommen werden müsste. Somit bedeuten sowohl die Unterzeichnung als auch die Nichtunterzeichnung einen höheren Kostenaufwand für den Erwerb von Verlagslizenzen zur Nutzung von Literatur, der insbesondere kleiner Hochschulen ohne die dafür notwendigen finanziellen Kapazitäten träfe.
Den niedersächsischen Studierendenschaften stellt sich somit die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die KMK den Rahmenvertrag mit der VG Wort trotz der negativen Erfahrungen aus Osnabrück, unterzeichnen konnte. Laura Boese, Referentin für Allgemeine Angelegenheiten der Studierendenschaft im AStA der Universität Osnabrück: “Bislang ist es noch völlig unklar, wie die KMK dazu kam, diesen Rahmenvertrag zu unterschreiben. Die Regelungen mögen zwar im Einklang mit der Rechtsprechung sein, sind aber vollkommen realitätsfern. Die Bedingungen an den Hochschulen werden durch diese Änderung um viele Jahre bis in die 90er zurückgeworfen! Die Vorteile, die wir durch die online verfügbaren Materialien hatten, werden uns genommen. In den Bibliotheken ist es ohnehin schon schwer geeignete Literatur zu finden, nun teilen sich die Teilnehmer*innen einer Veranstaltung ein Buch, wo soll das hinführen? Deshalb appellieren wir an alle noch unentschlossenen Hochschule, dem Rahmenvertrag mit der VG Wort nicht beizutreten, um neue Verhandlungen zwischen KMK und VG Wort mit einem zufriedenstellenderen Ergebnis zu erreichen.“