Inzwischen befinden wir uns im vierten Semester im Sonderbetrieb. Doch für viele Herausforderungen gibt es immer noch keine (guten) Lösungen. Viele Studierende sind inzwischen finanziell an der Belastungsgrenze, nachdem im Rahmen der Corona-Pandemie viele typische Studierendenjobs weggebrochen sind. Auch sozial und psychisch hat Corona die Studierenden hart getroffen. So gaben zum Beispiel 39% in einer in Mainz durchgeführten Umfrage an, unter depressiven Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen oder dem Verlust von Interessen und Freude zu leiden [1]. Zudem nannten viele die Belastung durch Zukunftsängsten, Vereinsamung oder einem Verlust der Tagesstruktur.
Gerade jetzt, wo die Corona-Inzidenzen wieder steigen, ist von vielen Hochschulen kein konkreter Plan zu erkennen, wie mit der Situation gut umgegangen werden kann. Diese Situation ist, gerade angesichts der bald anstehenden Prüfungsphase, für Studierende eine sehr belastende und unklare. Es ist davon auszugehen, dass sich einzelne Prüfungsleistungen und Lehrinhalte, gerade solche, die notwendigerweise in Präsenz erfolgen müssen, verschoben werden müssen. Aber auch für diejenigen Studierenden, bei denen das nicht der Fall ist, ist ein Absolvieren des Studiums in der dafür vorgesehenen Regelstudienzeit (sprich: meist 30 Leistungspunkte pro Semester) kaum zu bewältigen: So zeigen etwa die Umfragen des DZHW und der AG Hochschulforschung der Universität Konstanz, dass wesentliche Aspekte für ein erfolgreich abgeschlossenes Studium; die Entwicklung passender Lernstrategien, die Strukturierung des Tagesablaufs oder die Bewältigung der Prüfungsanforderungen, für die meisten Studierenden schwieriger geworden sind [2].
Entsprechend fordert das Solidarsemesterbündnis eine weitere Verlängerung der Regelstudienzeit, solange die Corona-Pandemie das Land und damit auch die Hochschulen beeinträchtigt. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) muss dafür keine komplizierte Gesetzesänderung vornehmen, sondern kann diese eigenständig beschließen. Von dieser Berechtigung sollte es jetzt, und nicht erst in ein paar Monaten, Gebrauch machen! Die Unklarheit darüber, ob man das Studium angesichts auslaufendem BAföG oder aufgrund anfallender Langzeitstudiengebühren überhaupt zu Ende bringen kann, stellt für viele momentan einen unnötigen und belastenden Stressfaktor dar. Für uns gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum man bei der Entscheidung über die Verlängerung der Regelstudienzeit länger zögern sollte.
Bei der Verlängerung der Regelstudienzeit ist eine Gruppe mitzudenken, die von den letzten Regelungen vollkommen ausgenommen wurden: Die derjenigen Studierenden, die schon vor der Pandemie Langzeitstudiengebühren zahlen mussten. Warum diese in allen drei Corona-Semestern weiter mit Langzeitstudiengebühren belastet wurden, ist für uns nicht nachvollziehbar: Für sie hat sich das Absolvieren des Studiums nicht weniger erschwert als beim Rest der Studierenden. Die Möglichkeit, das Studium zu Ende zu bringen, entzieht sich häufig dem Willen des einzelnen. So kann man sich noch so sehr anstrengen – wenn etwa Praktika wegen der Pandemie nicht stattfinden können, verlängert sich notwendigerweise das Studium.
Gerade bei Prüfungen ist die unklare Lage sehr belastend. Auch in Präsenz geplante Prüfungen werden aufgrund der hohen Corona-Inzidenzen oft kurzfristig umgeplant und ins Virtuelle verlegt. Um dieser Unsicherheit Rechnung zu tragen, fordert das Solidarsemesterbündnis alle Prüfungen in diesem Semester als Freiversuche durchzuführen, also bei Nichtbestehen einer Prüfung diese nicht von der Anzahl an Versuchen, die für diese Prüfung erlaubt sind, abzuziehen.
Auch andere finanziellen Entlastungen für Studierenden sind jetzt zwingend notwendig: Mit dem erneuten Wegbrechen der Nebenjobs, die selbst im Sommer in der Zahl deutlich geringer waren als vor Corona, geraten viele Studierende nun wieder in akute Geldnöte. Dabei geht es noch nicht einmal darum, ob und welche Weihnachtsgeschenke denn nun eingekauft werden können, sondern Grundsätzliches; Verpflegung, Miete etc. Entsprechend bedarf es nun rascher, unkomplizierter Finanzhilfen für Studierende. Dabei sind verschiedene Modelle denkbar – klar ist, dass sich die Studierenden nicht noch weiter verschulden dürfen! Finanzhilfen in Form von Darlehen oder Krediten sind daher für uns vollkommen indiskutabel.
Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eingeführten Überbrückungshilfen wurden der Realität vieler Studierenden wenig gerecht. Individuelle Lebenslagen – Mietpreise, unterschiedliche Lebensführungskosten etc. – wurden hier nicht mitberücksichtigt, von den als Maximalsumme ausgegebenen 500€ kann ohnehin kaum jemand den Lebensunterhalt bestreiten. Die Intransparenz in der Antragsstellung, die fehlende Möglichkeit, Einspruch gegen eine nicht nachvollziehbare Ablehnung einzulegen, kommen noch dazu. Zudem mussten Studierende, um die Maximalsumme zu erhalten, unter 100€ auf dem Konto vorweisen können. Doch das reicht nicht einmal für die Miete! Sollten die Überbrückungshilfen erneut eingesetzt werden, erwarten wir von der neuen Bundesregierung daher ein gründlicher durchdachtes Hilfsprogramm, das mit angemessenen Mitteln ausgestatteten ist.
Doch es gibt auch andere Alternativen zur Überbrückungshilfe: So könnte der Bezug des Arbeitslosengeld II (ALG II) auch für Studierende geöffnet werden. Dies brächte einige Vorteile mit sich: So ist die Infrastruktur für die Vergabe der Gelder bereits vorhanden, der Prozess der Entscheidung über die Anträge deutlich weniger undurchsichtig. Zudem kommen die dort vergebenen Gelder deutlich näher an die Realität der Studierenden heran als BAföG und die Überbrückungshilfen. Auch ließe sich die Öffnung von ALG II für Studierende per Änderung des Sozialgesetzbuch II rasch umsetzen, wie während Corona bereits an anderen Stellen erfolgt.
Die politischen Maßnahmen, die nun getroffen werden müssen, können allerdings nicht bei Finanzhilfen für Studierende und Verlängerung der Regelstudienzeit stehen bleiben. Noch steht nicht fest, wie es in den nächsten Wochen mit der Lehre weitergehen wird. Angesichts dessen, was für verheerende soziale und psychologischen Folge das isolierte Lernen vor den Laptops für die Studierenden mit sich bringt, gibt es einige gute Gründe, die für die Fortführung zumindest einiger Lehrformate in Präsenz sprechen. Damit dies aber angesichts steigender Inzidenzen gewährleistet werden kann, bedarf es sofortiger Unterstützungsleistungen vom Land:
An vielen Standorten fehlen in den Seminarräumen und Hörsälen Luftfilter, die für die Verhinderung von Ansteckungen, gerade in den kalten Monaten, von besonderer Bedeutung wären. Noch immer gibt es bis auf wenige Ausnahmen keine Testzentren an den Campussen. Dies wäre auch schon vor Wiedereinführung der kostenlosen Tests angesichts der Ballung von so vielen Personen auf enge Räume zweifelsohne sinnvoll gewesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt braucht es unbedingt Testzentren an den Campussen, um die Abwicklung der Testung direkt vor Ort reibungslos zu gewährleisten.
Sowohl für die Beschaffung von Luftfiltern als auch für die Organisation von Testzentren benötigen die Universitäten allerdings Gelder, die sie nicht haben. Das MWK zieht sich mit dem Verweis auf die Autonomie der Hochschulen aus seiner Verantwortung, die notwendigen finanziellen Mittel für die Organisation der Forschung und Lehre bereitzustellen.
Was nun neben der Organisation von Luftfiltern und Testzentren und der Verschärfung der Hygienekonzepte unbedingt passieren muss, ist, wo möglich, die Umstellung der Lehre auf Hybridmodelle. In ein paar, aber viel zu wenigen Lehrveranstaltungen wird Hybridlehre bereits mit klugem Konzepten umgesetzt, mit denen gute Erfahrungen gemacht wurden. Studierenden, insbesondere jenen, die zur Risikogruppe gehören oder sich um Angehörige aus einer solchen Gruppe kümmern, muss unbedingt die Möglichkeit gegeben werden, unter den derzeitigen Pandemiebedingungen auch digital an den Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Die Universitäten, die auf große Anteile der Lehre in Präsenz setzen, müssen die Lehrenden in die Pflicht nehmen, ihre Veranstaltungen auch in irgendeiner Form digital stattfinden zu lassen, bestenfalls als Videokonferenz, wenigstens aber das nachträgliche Hochladen der Seminarinhalte. Auch hierfür fordern wir vom Land die Bereitstellung von Mitteln zur Umsetzung.
In einem Gespräch der LandesAStenKonferenz Niedersachsen (LAK) wurde uns von Björn Thümler, Minister für Wissenschaft und Kultur, zugesichert, man würde sich für solche Gelder und Mittel, d.h. Testzentren, Luftfilter, technische Ausstattung der Universitäten einsetzen. Das MWK muss hier nun Wort halten und sich in der Bereitstellung von Unterstützungsleistungen auch gegenüber dem Finanzministerium durchsetzen. Für uns ist es unverständlich, dass die Hochschulen in dieser Situation vom Land alleine gelassen werden.
Nachweise:
1. https://www.dgpm.de/de/presse/presse-informationen/presse-information/auswirkungen-der-pandemie-studierende-leiden-stark-unter-einsamkeit-und-depression/
2.https://www.die-studierendenbefragung.de/fileadmin/user_upload/publikationen/dzhw_brief_01_2021.pdf